Samstag, 22. November 2014

Wer liest kommt weiter

Wer liest, kommt weiter. „Gute Leistungen bei der Lesekompetenz bilden die Grundlage guter Ergebnisse in anderen Fächern.“ Diese Aussage ist nüchtern und stilistisch nicht gerade brillant, birgt aber Zündstoff. Man findet sie im Bericht zur PISA-Studie 2009. Friedrich Denk hat sie in journalistischer Manier zu einem eingängigen Vier-Wort-Satz verdichtet und daraus einen Titel gemacht: Wer liest, kommt weiter. Ein Sachbuch? Nein, viel mehr: Wer Denk als Motor von Lesungen kennt, zu denen seit 1980 Autorinnen und Autoren wie Ilse Aichinger, Rainer Kunze, Adolf Muschg, Peter Ustinov oder Martin Walser ans Gymnasium der oberbayerischen Kleinstadt Weilheim gereist sind, und wer weiß, dass Denk 1996 eine Intellektuellenrevolte gegen die neue Rechtschreibung anführte, der ahnt, dass dieses Buch nicht einfach ein Buch ist, sondern ein Manifest. Der Germanist Friedrich Denk geht bei seinen emsigen Recherchen in die Vollen, bietet Literaturzitate aus drei Jahrtausenden, von Herodot bis Hürlimann, von Sophokles bis Strauß, zitiert fleißig zig Belege für seine Thesen, die da lauten: Wer liest, übt sein Denken und seine Sinne, schärft sein Fühlen, gewinnt Information und Erkenntnis. Schade nur, dass Denk zu sehr die geisteswissenschaftliche Brille aufhat und naturwissenschaftlich-technische Sachbücher als wertvolle Informationsquelle – gerade im Hinblick auf den Nachwuchsmangel in diesem Bereich – unerwähnt lässt. Allein, beim Lob auf das Lesen, laut Denk nichts anderes als ein Akt „schöpferischen Sehens“, bleibt es nicht. „Warum wird heute weniger gelesen?“, fragt der Autor im zweiten Abschnitt zu Recht. Und er weiß die Antwort: Die visuellen Medien – Fernsehen, Computerspiele, Internet, Smartphones – drängen die Beschäftigung mit dem Buch zurück und führen dazu, dass zum Beispiel „die Amerikaner fast ihre ganze Freizeit vor Bildschirmen“ verbringen und deutsche Schüler bei PISA „ausgerechnet im Lesen erstaunlich schlecht“ abschneiden, mit entsprechenden Folgen (siehe oben!). Verständlich, dass Denk hier eine Medienschelte betreibt, ja als pensionierter Pädagoge betreiben muss. Allerdings gerät seine Darstellung an dieser Stelle zu einem Schwarz-Weiß-Bild, gemäß dem reduktionistischen Motto: Hier das gute Buch, dort das böse Internet. In Wahrheit ist der angeblich negative Einfluss der neuen Medien auf intellektuelle Entwicklung und kognitive Fähigkeiten von der Wissenschaft keineswegs so eindeutig belegt, wie es Friedrich Denk glauben macht. Bücher wie Digitale Demenz von Manfred Spitzer, auf das er sich unter anderem beruft, sind nicht nur unter Medienwissenschaftlern äußerst umstritten, sondern vor allem auch unter Bildungs- und Hirnforschern. Die beiden letzten, jeweils sehr knapp gehaltenen Abschnitte widmen sich den Fragen „Wo, wann und wie können wir lesen?“ und „Was können wir lesen?“ Letztere Frage beantwortet Friedrich Denk zusätzlich im Anhang: 168 Autoren, Künstler, Kritiker und Verleger nennen jeweils drei Bücher, die sie Jugendlichen empfehlen würden. Ein origineller Appell am Ende eines intelligenten und wichtigen Buchs. Das Buch ist auf allen Plattformen erhältlich.

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