Montag, 15. Juni 2015

Sind die Frauen immer die Bösen? :-)




Gundis Zámbó spricht auf der MyFair in Essen mit Astrid Korten über ihren Thriller TÖDLICHE PERFEKTION, über Jugendkult, die Macht von Schuldgefühlen.

Liebe Frau Korten, in den Medien wird immer noch ein Jugendkult gefeiert …
Astrid Korten: „Heute will jeder möglichst lange leben, aber auf keinen Fall alt aussehen. Das eine kann ich verstehen, das andere nur eingeschränkt. Aber es sind vor allem zwei Probleme, die da zusammenkommen.“

Was meinen Sie damit?
Astrid Korten: „Da ist auf der einen Seite der reine Jugendkult, dem wir jeden Tag in Zeitschriften und dem Fernsehen begegnen. Der wird bewusst geschürt von den Medien, der Unterhaltungs- und der Kosmetikindustrie. Junge Menschen buhlen vor laufender Kameras um den Titel eines ‚Topmodels‘ oder unterziehen sich gar medizinischen Eingriffen, um ihre Optik einem fragwürdigen Ideal anzupassen. Mit dieser Zurschaustellung hat die Vermarktung von Schönheitsoperationen einen neuen und unrühmlichen Höhepunkt erreicht. Nicht selten zerbrechen vor allem junge Mädchen an dem Wunsch, schöner und schlanker zu sein – perfekt, wie sie denken. Das ständige Gefühl, nicht dem gängigen Ideal zu entsprechen, belastet und schwächt das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Dabei sagt äußerliche Schönheit nichts aus über den Charakter, die Eigenschaften oder Fähigkeiten eines Menschen. Seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, mit sich selbst ins Reine zu kommen und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, wird nicht durch die ästhetische Chirurgie und ähnlichen Eingriffen erreicht. Der Narzissmus wird höchstens geschürt.“

Sie sprachen aber von zwei Problemen?
Astrid Korten: „Auf der einen Seite haben wir den Jugendkult mit seinen Folgen, auf der anderen Seite ist durch ihn aber auch die fixe Idee entstanden, dass Schönheit und ein makelloser Körper gleichzusetzen sind mit der Abwesenheit von Krankheit und dem Alterungsprozess. Dies hat den Traum von der menschlichen Unsterblichkeit genährt, der noch dazu von der Genforschung und ihren neuen Entdeckungen unterstützt wird. Aber das ist ein Irrglaube. Und genau da setze ich mit meinem Thriller TÖDLICHE PERFEKTION an.“

Was hat Sie zu der Sekte inspiriert, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt?
Astrid Korten: „Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass es mehr Sekten gibt, als den meisten von uns bewusst ist. Allein in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, in dem ich lebe, gibt es mittlerweile bis zu 400 verschiedenen Gruppierungen, die im Lauf der letzten Jahre von den Behörden unter die Lupe genommen worden sind. Im Jahr 2012 wurden insgesamt 1.170 Anfragen bei der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. registriert; in 422 Fällen war ein intensiverer und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 40 Fachkontakten notwendig. Mich hat diese Thematik insbesondere inspiriert, weil jedes Jahr über 1.000 junge Menschen einer Sekte beitreten. Sie merken nicht, dass sie dort durch eine gezielte Bewusstseinskontrolle manipuliert werden. Sekten nutzen normale Gefühle der Ambivalenz aus, machen sich unbearbeitete, negative Gefühle zunutze, um die Mitglieder an die Gruppe zu binden. Es ist für Jugendliche und junge Erwachsene fast unmöglich, dies zu durschauen.“

Wobei auch Erwachsene potentiell gefährdet sind, wenn sie die von Ihnen genannten Voraussetzungen haben.
Astrid Korten: „Richtig. Im Rahmen meiner Recherchen habe ich erfahren, dass es viele Mechanismen gibt, auf die Mitglieder einer Sekte sozialen und psychologischen Druck auszuüben. Beispielsweise die Isolation der Person von ihrer Vergangenheit und die Untergrabung ihres Selbstbewusstseins. Neue Mitglieder werden dazu gebracht, ihr früheres Leben aufzugeben und zu vergessen und sich ganz der Gruppe zu überantworten. Beziehungen zu Eltern, Freunden und Nichtmitgliedern werden eingefroren. Das hat zur Folge, dass in den Neulingen ein tiefes Schuldgefühl hinsichtlich ihrer Vergangenheit entsteht. Mit der Verteufelung ihrer Familien und persönlichen Beziehungen wird den Mitgliedern auch suggeriert, dass sie selbst schlecht waren, bevor sie der Gruppe beitraten. Um Gehorsam durchzusetzen, wird die Bewusstseinskontrolle indirekt, durch Gruppenzwang, ausgeübt; falsches Verhalten bedeutete die Isolierung, richtiges Verhalten eine höhere Einstufung. Dem Aufbau von Schuldgefühlen dient es, dass die früheren persönlichen Beziehungen des Neumitgliedes als satanisch oder böse gebrandmarkt werden und mit dem gewählten Weg unvereinbar sind. Sekten sind Brutstätten für Schuldgefühle. Deswegen habe ich ‚meine‘ Sekte auch in Schottland angesiedelt – der Gegensatz zwischen der malerischen Landschaft und der düsteren Praktiken reizte mich.“

Nun könnte man meinen, dass dies allein schon genug Stoff für ein Buch wäre – aber in TÖDLICHE PERFEKTION geht es auch noch um die internationale Pharmaindustrie. Warum?
Astrid Korten: „Ich habe viele Jahre ein pharmazeutisches Unternehmen geleitet und kenne mich in der Branche bestens aus. Ein Teil der Handlung spielt deswegen auch in Hongkong, einer Hochburg der Pharmaindustrie – und der Produktpiraterie. Außerdem hat es mir gefallen, den medizinischen Fortschritt und seine Risiken ‚spannungsgeladen‘ aufzuzeigen. Die komplizierte Welt der DNA für den Laien verständlich darzustellen, war selbst für mich als Fachfrau eine Herausforderung. Ebenso die Gegenüberstellung des Wunsches nach Makellosigkeit und einer Krankheit wie die frühkindliche Vergreisung. Unterstützt wurde ich dabei übrigens von dem Unternehmen Qiagen, dem größten Hersteller von DNA-Technologien.“

Wie man bei diesen Themen nicht anders erwarten kann, geht es ziemlich düster zu in Ihrem Thriller. Haben Sie trotzdem eine Lieblingsfigur?
Astrid Korten: „Charis Burgess. Sie ist nicht nur die Protagonistin, sondern sie verkörpert auch den Narzissmus. Krankhafter Narzissmus ist in der heutigen Gesellschaft ein weitverbreitetes Phänomen.“

Und das ist Ihre Lieblingsfigur?
Astrid Korten: „Aber ja. Narzisstische Persönlichkeiten sind faszinierend. Sie haben meist eine ausgefeilte und sehr subtile Lebenstaktik, die hart erarbeitet wurde und von Außenstehenden oft gar nicht bemerkt wird. So etwas entsteht bereits in der Kindheit, beispielsweise durch die Überforderung der Eltern, und kann später durch Medien oder – wie in diesem Roman – durch eine Sekte, geschürt werden. Charis Burgess ist ein echter Machtjunkie. Nicht anders war es z.B. bei Mussolini, Hitler oder Hölderlin, wobei der Dichter ‚nur‘ schwer depressiv war.“

Das hört sich nun nicht nach einer sympathischen Figur an, wie sie sonst im Mittelpunkt von Thrillern steht.
Astrid Korten: „TÖDLICHE PERFEKTION ist kein Thriller im herkömmlichen Sinne, sondern er enthält auch die Botschaft, auf sich zu achten und sich nicht von den Medien beeinflussen zu lassen – denn dort sehe ich den Ausgangspunkt für Schlankheits-, Schönheits- und Sektenwahn.“

Der Leser wird immer wieder mit Szenen konfrontiert, die unter die Haut gehen und ihn frösteln lassen werden. Wie fühlt es sich für Sie an, so etwas zu schreiben?
Astrid Korten: „Beim Schreiben habe ich eine große Distanz zu diesen Dingen. Es ist eine Figur, die da entsteht und Grausames tut – nicht mehr und nicht weniger. Ganz anders ist es bei meinen Recherchen. Da treffe ich hin und wieder auf Menschen, die mich ängstigen und mir manchmal sogar eine schlaflose Nacht bereiten. Zum Glück ist es etwas ganz anderes, etwas zu hören oder zu sehen und es dann zu beschreiben. Solche Geschichten bilden die Grundlage meiner Thriller. Alles andere ist natürlich rein fiktiv.“

Ihr Thriller trägt den Untertitel „Poesie der Macht“. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Astrid Korten: „Nein. Die Poesie wurde schon in den Märchen der Gebrüder Grimm genutzt, um grausame Handlungen zu beschreiben und, wenn man so will, zu pervertieren. Gräueltaten, Macht und das Böse poetisch darzustellen, macht das Geschehen eindringlicher. Für mich gehört Poesie einfach zu einem guten Thriller.“

In ihren neuen Roman „Eiskalter Plan“ – Im Netz der Rache“ personifiziert wiederum eine weibliche Hauptfigur das Böse.
Richtig. Es geht in dem Roman um vier Frauen, die einen gemeinsamen Nenner verbindet: WUT. Das Quartett trifft sich zunächst im Chat, lässt dort Dampf ab. Nach einer Begegnung im Real-Life ändert sich die Situation. Statt sich ihrer Wut zu stellen, entsteht etwas anderes, etwas Böses, das die Damen irgendwann nicht mehr kontrollieren können. Als sie begreifen, dass sie einem perfiden Rachespiel ausgeliefert wurden, ist es zu spät. Ein spannender Psychothriller, in dem nichts so ist, wie es scheint, und der den Leser fassungslos zurücklässt.
Der Buchtrailer wurde übrigens auf Schloss Hugenpoet in Essen-Kettwig gedreht.

Fazit: Die Frauen sind die Bösen?
Nein! Es gibt eine zwei Topseller von mir, in dem ein Psychopath namens Jakob sein Unwesen treibt. Im Gmeiner-Verlag erscheint im Frühjahr 2016 ein Thriller, in dem ein männlicher Psychopath die Hauptrolle spielt.

Sie schreiben auch Romane, Dreh- und Kinderbücher. In diesem Jahr gab es zwei Auszeichnungen, haben sie uns verraten.
Richtig. Im Februar wurde das Roadmovie „Sophies wunderbare Reise durch die Zahlenwelt ausgezeichnet und erreichte den 7. Platz beim WMC.
Und in diesem Monat hat mein Thriller SIBIRIEN – Die aus dem Eis erwachen“ das Finale in Los Angeles erreicht. Am 18.6. werden die Gewinner bekannt gegeben. Bin gespannt.

Gibt es demnächst noch mehr aus der Pipeline, Astrid?
Ja, ein knallharter Thriller über predictive Policing.





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